Montag, 16. November 2009

Die ersten Wochen hier in dieser Stadt, die scheinbar nie schläft, waren sehr aufregend. Von der anfänglichen Überflutung von verschiedensten neuen Eindrücken, Menschen, Geräuschen, Gerüchen, dem Klima und dem neuen Essen habe ich mich schnell an das Leben hier gewöhnt und fühle mich jetzt sehr wohl. Kurz nach meiner Ankunft in Kolumbien ging es, nach einem Workshop über Guadua (das ist eine Bambusart, die zum Hausbau geeignet ist), gleich an ein großes Projekt.Gemeinsam mit den Lehrlingen der Schule in Montebello haben wir begonnen, eine Brücke zu bauen, die die Schulgebäude untereinander verbinden und die Kinder vor dem Regen schützen soll. Die gesamte Arbeit hatte einen starken symbolischen Charakter, nämlich: die Brücke zwischen den Kolumbianern und uns zu bauen.Diese Zielsetzung ist uns , auch wenn die Brücke immer noch nicht fertig ist, voll und ganz gelungen.Die Zusammenarbeit mit den Kolumbianern funktionierte sehr gut und schnell bildeten sich Freundschaften.Die Arbeit ging jeden Tag von 8 Uhr morgens bis 5 Uhr Nachmittags Die Hitze der ersten Woche machte die Arbeit fast unerträglich und Kreislaufversagen und Hitzschläge waren an der Tagesordnung. Hinzu kamen die Nächte, in denen man aufgrund des Lärms von der Strasse nicht schlafen konnte sowie die Umstellung auf das neue Essen.Abends waren wir innerhalb dieses ersten Monats einfach nur froh, nachhause zu kommen.Nachhause bedeutet für die meisten von uns für dieses Jahr ein ehemaliges Kloster, welches bis vor einigen Jahren eine Schule war. Ein Teil wurde von unserer Organisation gemietet und wir leben dort in einer großen Wohngemeinschaft. Das Gebäude liegt in einem der schönsten Viertel von Cali, in dem es auch sehr sicher ist. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz und es ist wirklich etwas ganz besonderes, hier wohnen zu können.Sowohl hier in Cali als auch in Montebello hat unsere große Gruppe von Deutschen viel Aufmerksamkeit erregt, und man fragte sich: “Woher kommen auf einmal die ganzen “gringos”, die jeden Morgen und Abend in voller Arbeitsmontur durch Montebello laufen, und was machen die hier?“Durch die offene und interessierte Art der Kolumbianer kamen wir gleich von Beginn an mit vielen der Bewohner ins Gespräch und sind jetzt gern gesehene Gäste, die freundlich auf der Strasse begrüßt werden.Nachdem die Arbeit an der Brücke für uns Freiwillige beendet war, wurden wir in unsere Hauptprojekte eingeteilt.Ich erfuhr, dass ich jetzt erstmal im Büro der Organisation arbeiten sollte. Für mich persönlich war das anfangs eine große Enttäuschung, weil ich meine Bewerbung für meinen freiwilligen Dienst deutlich darauf ausgelegt hatte, mit Kindern arbeiten zu können, und ich mir in der Zeit vor meiner Abreise schon sehr viele Gedanken gemacht hatte, was ich denn hier wohl für Projekte machen könnte.Die erste Woche im Büro verlief für mich sehr deprimierend, auch, weil ich noch sprachliche Probleme hatte. Ich musste den ganzen Tag im Büro sitzen und hatte die Aufgaben zu erledigen, die sonst keiner machen wollte. Quittungen sortieren, stundenlang kopieren, archivieren und Texte abtippen. Niemals hätte ich mir diese Arbeit so anstrengend vorgestellt. Bei meiner Organisation beschweren wollte ich mich nicht, da ich einen Funken Hoffnung hatte, dass sie sich auch etwas dabei überlegt hatten, mich ins Büro einzuteilen.So kam es dann auch und die Arbeit wendete sich im Endeffekt zum guten. Ich bekam einen immer besseren Einblick in die Arbeit des Vereins hier in Cali. Schon bald fuhr ich mit meiner Kollegin durch die gesamte Stadt, um Essen für die Schüler zu bestellen, Spenden abzuholen, bei der Bank Kredite zu beantragen, im Centro Educativo Dokumentationen über den Verein abzuliefern ( Die Bürokratie ist auch in Kolumbien angekommen ...) und konnte außerdem bei Veranstaltungen mitorganisieren. Da ich jetzt weiß, mit was für einem Aufwand meine drei Kolleginnen hier für den Verein und somit für die Kinder in Montebello arbeiten, habe ich großen Respekt vor Ihrer Arbeit und freue mich, ein Teil Ihres Teams geworden zu sein.Nach zwei Wochen Arbeit im Büro wurde ich von einer anderen Sozialen Einrichtung in Montebello (dem Mädchenheim “Hogar de la Luz”) gefragt, ob ich nicht Lust hätte, ein Theaterprojekt mit den Mädchen dort zu gestalten. Ich willigte sofort ein und begann mit der Unterstützung von zwei weiteren Freiwilligen, die dort einen festen Arbeitsplatz haben, ein Theaterprojekt. Seit diesem Zeitpunkt an arbeite ich morgens im Büro der "Fundacion "und nachmittags im Heim mit den Mädchen.Für mich persönlich eine sehr gute Abwechslung. Momentan befinden wir uns mitten in den Vorbereitungen für das Weihnachtsstück “A Christmas Carol” von Charles Dickens und die Arbeit mit Ihnen trägt bereits erste Früchte.Ich arbeite mit ca. 20 Mädchen (manchmal mehr, manchmal weniger) im Alter zwischen 9 und 16, die alle aus sehr schwierigen familiären Verhältnissen kommen. Im Heim sind einige von ihnen Jahre, andere nur ein paar Wochen. Die Stimmung ist irgendwie immer unruhig. Ruhe und Konzentration in die Gruppe zu bekommen, scheint eine der schwierigsten Aufgaben zu sein. Seit Beginn des Projektes machen wir jeden Tag Konzentrationsübungen und Teilnehmer sind erstaunt, wie gut diese funktionieren. Eine der Betreuerinnen meinte, sie hätte es noch nie geschafft, solch eine Ruhe zu verbreiten und die Mädchen wollten gar nicht mehr aufhören, diese Übungen zu machen. Weiter ging es mit Improvisationsübungen, wo man immer wieder erstaunt ist über die Unkompliziertheit und Fantasie der Mädchen.Mit diesen Mädchen zu arbeiten ist für mich etwas ganz besonderes, da für sie der Entwicklungsprozess bis hin zu der Aufführung weit über das Schauspielen hinausgehen wird. Sie lernen Vertrauen gegenüber ihren Mitspielerinnen aufzubringen, übernehmen Verantwortung, halten sich an Regeln, die sie selber aufgestellt haben und können am Ende stolz darauf sein, was sie in so kurzer Zeit geleistet haben. Bis zur Aufführung am 18. Dezember werde ich sie begleiten und ich bin wirklich sehr gespannt, wie das alles ablaufen wird, aber ich baue darauf, dass die Mädchen motiviert und diszipliniert sind, sowie auf ausreichende Unterstützung seitens der anderen Heimmitarbeiter, von denen es aber einige gibt.Zusätzlich zu der Büro und Theaterarbeit möchte ich bald mit den Kindern in der Schule eine „Natur-Arbeitsgruppe“ machen, in der wir dann verschiedenste Themen im Zusammenhang mit Natur und Umwelt behandeln werden. Für mich ist es sehr wichtig, einen konstanten Kontakt zu den Kindern in der Schule zu haben und sie nicht nur am Mittagessen zu sehen.Die Schule in Montebello ist übrigens ein wunderschöner Ort. Umgeben von Bambuswald stehen drei Gebäude aus Guadua-Bambus. Das ganze Gelände strahlt eine unglaubliche Harmonie aus, die sich auf die Kinder der Schule regelrecht abfärbt.Leider kann die Schule momentan nicht mehr als 250 Schüler aufnehmen und auch schon jetzt platzen die Klassen aus allen Nähten .Vierzig Kinder in einer Klasse möchte man eigentlich keinem Lehrer zumuten. Es fehlt an Tischen und Stühlen, bald werden hoffentlich die versprochenen Möbel (Spenden der Deutschen Schule) eintreffen. Aber es wird weitergebaut, um weiteren Kindern die Möglichkeit zu geben, die Schule zu besuchen, das Bedürfnis danach ist in Montebello sehr groß. Was meine Erfahrungen mit den Kindern an der Schule betrifft sind, diese durchwegs positiv. Ich bin stark beeindruckt von der Fröhlichkeit der Kinder und ihrer Freude am Teilen. Wenn man sie nach unseren verqueren Maßstäben von Reichtum betrachten würde, wären all diese Kinder sehr arm. Wenn man jedoch erkennt, was diese Kinder in ihren jungen Jahren bereits an Menschlichkeit und Güte besitzen, sollte man sie als reich einordnen. Das was sie geben können, geben sie ohne Angst auf Verlust weiter, ein Verhalten, dass ich mehr als nur bewundere.Diese offene und fröhliche Verhalten der Kinder und Erwachsenen hier ist alltäglich. Durch Umstände, die den meisten Kolumbianern das Leben hier nicht gerade einfach machen, lassen sie sich jedoch nichts von ihrer Lebensfreude nehmen und es wird Tag und Nacht Musik gehört und gemacht, gesungen und getanzt.Diese Art und Weise mit den Problemen umzugehen nehmen die meisten Menschen hier wahr, egal aus welcher sozialen Schicht sie kommen, und es wundert mich nicht, dass die kolumbianische Bevölkerung laut einer Studie das zweitglücklichste Land auf der Welt sein soll, weit vor Deutschland. Eine Frage, die man hier fast täglich gestellt bekommt, ist: "Was hast du von Kolumbien gedacht, bevor du hierher gekommen bist?". Natürlich liegt es da nahe, von Drogenkartellen, Guerillas, Paramilitärs und korrupter Politik zu sprechen, jedoch denke ich nicht, das dies der richtige Ansatz ist, um mit den Menschen hier zusammenzuleben. Vor ein paar Tagen haben die Mädchen im Heim "Schindlers Liste" angesehen und danach haben sie Fragen gestellt, die wir versucht haben zu beantworten: Dass nicht alle Deutschen so sind, dass dies heute anders ist und wir immer noch mit diesem negativen Bild behaftet sind und so weiter ...und dann meinte ein Mädchen, dass es Ihr Leid tut für uns, aber dass sie es gut versteht, weil es über die Kolumbianer und über ihr Land auch nur negative Sachen in der Welt gesagt werden und dass sie nichts dagegen machen können.Als Antwort auf die Frage, was wir Deutschen von Kolumbien gedacht haben, bevor wir hierher gekommen sind, ist immer noch diese am Besten: "Ich habe gehört, dass es ein sehr schönes Land sein soll mit vielen netten Menschen", weil die Kinder nicht noch zusätzlich belastet werden sollen.Ich muss ehrlich gestehen, dass ich mir das Leben hier gefährlicher vorgestellt habe. Aber wenn man sich an gewisse Regeln hält und auf das hört, was einem die Kolumbianer raten, dann lebt es sich hier relativ ungefährlich.Man spürt die angespannte politische Situation deutlich. Nächstes Jahr sind Neuwahlen. Eine Chance, denken die einen, von einer bereits entschiedenen Angelegenheit gehen die anderen aus.Es wird auf jeden Fall eine spannende Wahl, weil sich der amtierende Präsident keinen faux pas mehr erlauben kann, um seine Widerwahl zu sichern - was meiner Einschätzung nach aber unmöglich ist, da seine und die Verbindungen der höchsten Männer im Land zu den Paramilitärs bekannt sind. Ich hoffe einfach, dass es hier irgendwann für die Kolumbianer möglich wird, keine Angst mehr vor willkürlicher Gewalt und Korruption haben zu müssen.Diese Möglichkeit sollte dieses Land endlich bekommen, um zeigen zu können, was es eben noch zu bieten hat!In diesem Sinne lade ich Euch alle ein, Euch ein individuelles Bild über Kolumbien zu machen. Sei es im Dialog mit mir (Fragen bitte gerne an mich!) mit spezifischer Literatur und Musik oder einem Besuch in diesem Land.
Ich hoffe, dass ich euch einen ersten kleinen Einblick in meine Arbeit und mein Leben hier geben konnte.Vielen Dank für Euer Interesse und Eure Unterstützung, Ich sende euch muchos saludos de Cali
Eure Leonie

2 Kommentare:

  1. Hey LeOnie,

    schön mal wieder was von dir zu lesen / hören, wir sehen uns ja leider nicht mehr so oft weil wir durch unsere langen Arbeitszeiten so beschäftigt sind.
    Ich freu mich schon auf das Weihnachtstheater!
    Lass uns dieses Wochenende mal treffen. Wie wärs morgen um 10 in der Küche?

    Un beso y un abrazote amiguita con todo mi corazon <3
    Catalinchen

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  2. Hey Leonie!
    Jetzt bin ich eben auf deinen Blog gestoßen und fand es sehr spannend, was du berichtest :) Muss sagen, das klingt schon SEHR anders als Chile, da merkt man eben doch, wie unterschiedlich die Länder dort sind... Und natürlich schon allein die Natur... Toll sehen die Fotos aus!!!
    Ich hoffe du hast noch weitere tolle Erlebnisse und aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen: es lohnt sich auch Tiefen durchzustehen, weil letztendlich haben die mir in meinem Jahr in Südamerika auch was gebracht :)
    Te dejo un besito y un abrazo!
    Sarah

    P.s.: Sprichst du schon fließend spanisch? ;)

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